Süddeutsche Zeitung vom 8. April 2000:
Schlaflos in München
Es gibt immer noch Unverbesserliche, die lassen es sich nicht nehmen, ihr Missfallen an David Aldens "Tannhäuser"-Inszenierung von 1994 laut herauszubuhen, in den Jubel hinein, was allerdings Alden nicht davon abhält, sich ganz alleine vor dem Vorhang im Nationaltheater zu zeigen. Mit Recht: Er leitete selbst, was nicht selbstverständlich ist, die Wiederaufnahmeproben, mit Sängerdarstellern, die sein Konzept aufgehen lassen.
Dieses ist keines für schlichte Klang-Genießer. Sondern tatsächliches, ekstatisches Musikdrama. Erstaunlicherweise ist es gerade Robert Gambill, an dem sich Aldens Wollen - und Gelingen! - trefflich studieren lässt. Er sprang in der Titelpartie ohne eine einzige Bühnenprobe ein, weil Stig Anderson erkrankte. Viele andere würden sich ins Singen retten, ohne viel zu spielen. Gambill nicht. Gut, man kann mäkeln, dass ihm in der Höhe das Strahlen, mitunter die Höhe selbst fehlt, dass er also agieren müsse. Doch bei Gambill ist dies kein Agieren um zu kaschieren, es ist ein völlig verinnerlichtes Rollenverständnis. Anfangs - wer möchte ihm das nicht verzeihen - noch etwas gaumig-belegt grübelt er düster im Venusberg vor sich hin, um im zweiten Akt die halbdurchgeknallte Sängerbigotterie vehement aufzumischen. Und bei seinem Pilgerbericht im Schlussakt lauscht man auf jedes Wort. Weil man’s wunderbar versteht, weil er daraus eine spannende Erzählung formt, die völlig schlüssig in ein ganz irres Lustsehnsuchtsglimmen umschlägt.
Diese Aufführung bietet neben Gambill noch vier weitere Münchner Rollendebuts. Monolithisch unerreichbar: Kurt Molls Landgraf. Er singt so herrlich plastisch, dass man in den Text hineingreifen kann. Das kann man bei Nadja Michael zwar ganz und gar nicht, aber wenn man sich bei fast jeder "Tannhäuser"-Inszenierung fragt, was für ein Problem der Titelheld hat, dann wird er bei dieser Venus zum völligen Trottel: blond, schön, sexy krabbelt sie mit stählerner Stimme bewehrt so lasziv herum, dass man nur schwer an sich halten kann. Katarina Dalayman behauptet hingegen ihr Liebes-Terrain als Elisabeth mit riesigem, vibrierend-glutvollen Sopran, worauf man auch wieder Simon Keenlyside versteht, der als still-treuer Wolfram zunächst kaum einen Ton aus seiner lyrischen Kehle bringt, erst am Ende befreit auftrumpft. Dazu dirigiert Jun Märkl ein engagiertes Vollrisiko, das über weite Strecken wunderbar aufgeht. Wer nach der Aufführung ruhig schlafen konnte, den verstehe, wer mag. - EGBERT THOLL
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