Waschsalons: grossstädtische Niemandsorte, an denen Wartende
Zeitung lesen, dösen, sich ihren Phantasien überlassen.
Manchmal plärrt ein Radio. Nachts in Neonlicht getaucht, das
von den gekachelten Wänden reflektiert seinen Schein auf die
Strasse wirft, könnten sie den zufällig vorbeikommenden
Passanten an die unterkühlten Grossstadtbilder des amerikanischen
Realisten Edward Hopper denken lassen. An diese seltsam starren
Szenen flüchtiger Begegnungen einander fremder Menschen, die -
gleichsam deterretorialisiert - aus dem Zeitfluss alltäglicher
Betriebsamkeit gerissen an einer Leerstelle der Zeit gestrandet
scheinen.
Mit solchen Leerstellen verhält es sich indessen wie mit der
Langeweile, über die Walter Benjamin im ''Passagenwerk'' schrieb,
sie sei wie ein graues Tuch, dessen Futter innen mit den glühendsten
Farben ausgeschlagen sei. Denn ähnlich, wie der unverwandte Blick
auf eine monochrome Fläche nach einer Weile neuronale Reflexe
auslöst, die dem Auge Bilder vorgaukeln, die gar nicht da sind,
schlagen solche Leerstellen die Imagination in ihren Bann. Der
Waschsalon an der Strassenecke, gerade noch Ort banaler,
alltäglicher Verrichtungen wird so zur Bühne, auf der
ganz unalltägliche Fantasien zu wuchern beginnen.
Und doch gehört es mittlerweile zum selbstverständlich
gewordenen Verhaltensrepertoire, solche Phantasien selbstreflexiv
zu diagnostizieren, sie damit nicht nur zu domestizieren, sondern
sie im selben Vorgang auch gleich zur Gänze weg zu rationalisieren.
Gerade noch vom Traumbild der eigenen Phantasie berührt, denunziert
der vorübereilende Passant dieses als blossen Reflex und wendet sich
sogleich wieder den wirklichen und folglich wichtigeren Dingen zu.
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Was aber, wenn die Fantasiebilder sich solch tristem Rationalismus
gegenüber mit einem mal als resistent erweisen? Wenn sie sich nicht
mehr mit eilfertiger Geste wegwischen liessen, sondern sich wider alle
Norm gegen die Alltagsvernunft behaupteten, ganz einfach existent
blieben? Musste jener Passant dann nicht wenigstens für Augenblicke an
seinem Verstand zweifeln, und müsste er sich als Zweifelnder
nicht öffnen für eine mögliche Wirklichkeit, in der
die Imagination nicht als vom eigentlichen Leben geschieden erscheint?
Es käme dann etwas in Gang, was sich als Erkenntnisprozess
beschreiben liesse. Und solches zu initialisieren ist noch immer eine
der vornehmsten Aufgaben der Kunst.
Nur allzu nahe liegend ist es also, dass Künstler sich eines
Raumes bemächtigen, der solche Potenziale birgt: ein Waschsalon
als Ort einer künstlerischen Aktion, bei der Gemälde,
Skulpturen, Fotografien, Videos, Musik, Tanz und Lyrik aufeinandertreffen
und in einem Zusammenspiel jenseits von planerischem Kalkül
ins Offene führen. Und eben in diesem Moment des Ungeplanten,
ja Unplanbaren, das dieser Aktion eignet, sind auch die flüchtigen
Begegnnungen mitgedacht, die so sehr zum Wesen eines solche Ortes
gehören.
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Sich dem Spiel des Zufalls zu überlassen birgt freilich stets
Risiken, und doch ist dies gerade in solchem örtlichen Bezug
fast zwingend. Die Stärke des Konzepts lebt paradoxerweise von
der Notwendigkeit seiner eigenen Inkonsistenzen, in denen sich die
Wechselfälle des Lebens widerspiegeln. Die alte, aber keineswegs
veraltete Idee des Happenings, im Sinne von ''etwas sich ereignen lassen'',
erfährt hier gerade in ihrer Tendenz, die Kunst dem Leben gegenüber
zu öffnen eine Aktualisierung, die sich noch in einem anderen
Aspekt des Konzepts vergegenständlicht. So wird während der
Aktion der Betrieb des Waschsalons keineswegs eingestellt, sondern es ist
gerade intendiert, dass sich künstlerische Aktionen und jene
alltäglichen Verrichtungen, wie sie zum normalen Geschehen in
einem Wasschalon gehören, vermischen, einander durchdringen.
Und sollte es gar glücken, dass sie sich wenigstens momenthaft bis zur
Ununterscheidbarkeit annähern, dann wäre jener alte Traum
eingelöst, in dem die Imagination zum festen Bestand des
Wirklichkeitssinss gehört. (Text: Ulrich Müller)
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Gemälde Frank Nedwed, Low-Tech-Geräte Charly-Ann Fragile, Lyrik Marion Friedl, Performance
Elisabeth Vournasou und Tobias Lange, Fotografie Patrice Kinzer, Tanz
Andrea Sonnberger, Musik Karl Schlagenhaufer und Peter Krause, und
Gäste ...
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AM 4. MAI 2001 ab 21:00 UHR
IM WUNDERBAREN WASCHSALON
HUMBOLDTSTRASSE ECKE OEFELESTRASSE MÜNCHEN
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